Rezension

Nikolai Vogel: Anthropoem. Menschengemachtes, allzu Menschengemachtes

Schon längst hat das Anthropozän Einzug in die Lyrik gehalten: In Skandinavien etwa setzten sich der Däne Theis Ørntoft 2014 (Digte 2014) und der Schwede Jonas Gren 2016 (Antropocen. Dikter för en ny epok) lyrisch mit dem Menschenzeitalter auseinander. 2018 erschien die internationale Lyrikanthologie What Nature, die Beispiele menschlichen Dichtens aus der ganzen Welt zu den katastrophalen Auswirkungen menschlichen Trachtens auf diesem Planeten versammelte. Aber auch in Deutschland gaben bspw. Anja Bayer und Daniela Seel 2016 die Anthologie all dies hier, Majestät, ist deins: Lyrik im Anthropozän heraus. In selbiger ist auch Nikolai Vogel vertreten, der mit seinem neusten Band Anthropoem, erschienen 2021 beim Black Ink Verlag, scheinbar schon im Titel auf dieses Thema rekurriert.

Und auch wenn einige Gedichte des gerade einmal 39 Seiten starken Bandes wie etwa das einleitende „MENSCH, MACH (DASS DU WEGKOMMST)“ deutlich den großen, menschengemachten Weltenlauf kommentieren, beschäftigt sich das Gros doch eher mit dem allzu Menschlichen, dem Alltäglichen, ja Banalen:

RADFAHREN

Die Räder drehen sich
Und du drehst die Runde
Für eine runde Stunde

Bleibst im Sattel, Gleichgewicht
Nase voraus, Wind und Licht
Bis dann eine Speiche bricht

Reime sind dabei, keine Angst, die Ausnahme. Zeitaktuelle Notate („LOCKDOWN-ICH“) werden mit fundamentalen Gedankengedichten verschränkt: „Und irgendwann vergeht der Kosmos ganz / Doch niemand sagt, dass da nichts war“ (aus: „IRGENDWANN“). Freie Formen wechseln mit festen Strophen, der Ton changiert zwischen schnoddrig („Plastik Strand, Anthropozän, / Sonnencreme, Vorspiel, Alkopop, / Anthropopo, ach Gott“) und „nachdenklich“. Am absolut besten ist Vogel da, wo die Pointe wie aus dem Nichts trifft, stark verdichtet und unaufdringlich:

ÜBER MITTAG

Wespen auf dem Kiesbett am Fluss
Der Verkehr auf der Brücke steht
Der Sommer sinkt schon vom Himmel

Auf Decken sitzende Körper
Die Haut im Licht verlangt Schatten
Du fragst, wann wir gehen

Insgesamt können diese 37 Gedichte ihrem gigantischen Titel aber nicht wirklich gerecht werden, auch nicht ironisch. Dafür sind sie zu huschelig, zu heterogen, zu sorglos zusammengestellt; der Titel und die Gedichte im Geist desselben zwingen das gesamte Bändchen in eine Form, die es nicht ansatzweise ausfüllen kann. Blendet man diese Klammer aus, findet man dagegen, wenn man genau hinsieht, hier und da schlagende Halbverse und Metaphern.

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