
Die Verdichtungswirkung der titelgebenden Schwarzen Löcher wird im Klappentext von Raoul Eiseles zweitem Gedichtband einmal hatten wir schwarze Löcher gezählt (2021) invers mit der Verdichtung der Poesie verknüpft: „[Die Poesie] schafft in ihrer Knappheit neue Welten, lässt Lichter entstehen, bildet Leuchttürme und schafft Platz und Orientierung – auch wenn ihr eine ähnlich starke Anziehung zugeschrieben ist, entlässt sie einen jedoch immer reicher wieder heraus.“
Knapp kann man Eiseles Lyrik nicht nennen. Auf gut hundert Seiten ohne Punkt entfaltet der 1991 geborene Dichter im Anklang an die Gravitationskraft der Schwarzen Löcher einen poetischen Sog, einen Strudel, der in langzeiligen Versen voranwirbelt und mit Alliterationen, Wiederholungen und den Fragmenten einer Erzählung den Leser einzusaugen versucht. Leider hat mich persönlich der Band nicht in seinen Bann gezogen.
Der Hauptgrund dafür ist sein allzu lyristischer Gestus. Beinahe alle Gedichte in einmal sind Du-Gedichte, viele Beziehungsgedichte (im weitesten Sinne des Wortes) an Felice, an R., an Céline, für A., für E., für M., für O., für MP., die mich in ihrer intimen Anspielungshaucherei („Amalfi / blinzelst in der Nacht als [sic] uns die Rufe der Wildtaube, die / Schafskälte in der Früh erreicht“) kaltlassen. Diese Briefigkeit trägt aber nur einen Teil zu meiner Verwahrung bei; erst zusammen mit dem bemüht lyrischen Sprachhabitus formt sie das nicht sehr vorteilhafte Bild eines georgeschen Ästhetizismus im Slammer-Gewand. Die Flut an poetischen Reizwörtern à la Nacht, Stern, Meer, Herz, Wange, Aster, Zypresse, Regen, Pore, Liebe, Wolken etc. im Verein mit gewagten Neologismen (schwalbend, hautverlaufend, wellengeboren, vollmondnächtens, trompetenblumend etc.) sind mir ohne sichtliche Ironiemarker schlicht zu viel des Guten.
Man wird einmal hatten wir schwarze Löcher gezählt allerdings nicht gerecht mit diesem zugebenermaßen eher auf Idiosynkrasien beruhenden Verdikt. Denn erstens beruht es eher auf Idiosynkrasien. Selbst wenn man bspw. die Neologismen ablehnt, zeugen sie doch von Sprachfreude und Experimentierlust, über deren Gelingen oder Nichtgelingen andere anders urteilen mögen.
Zweitens verbirgt sich hinter der oben monierten „Anspielungshaucherei“ zumindest teilweise ein interessantes Konzept. Im Zyklus „Sieben Briefe“, der über das ganze Buch verstreut ist und sozusagen dessen Skelett bildet, wird nach und nach die Geschichte eines Seemanns erzählt. In sieben Briefen an seine „liebe, liebe O.“ (seine Frau?) wird enthüllt, dass sie nach dem ersten gemeinsamen Kind (M.) ein zweites (L.) erwartet, er an Land eilt, um dessen Geburt mitzuerleben, ihm das Kind aber fremd bleibt. Er flüchtet sich aufs Meer – und in die Sprache, die Lyrik. Insofern sollte man sich hüten, ganz naiv Eisele als Sprechinstanz der Gedichte in einmal zu setzen: M. und L. tauchen an mehreren Stellen außerhalb der „Sieben Briefe“ auf. Steckt also der Seemann (der desorientierte Lotse?) hinter den Gedichten? Wird hier eine Allegorie inszeniert („O.“ – das schwarze Loch im emotionalen Universum der Sprechinstanz)? Das Buch erschließt sich jedenfalls teilweise als fingierter Versuch, nach einem desorientierenden Erlebnis Orientierung in der Sprache zu finden. Das erklärt auch die überbordende Schifffahrtsmotivik sowie die vielen (briefartigen) Du-Gedichte: eine Poetik der (suchenden) Dialogizität wie in Celans Meridian-Rede.
Nur: Das alles macht den schwalbenden Duktus nicht wett. Aus einiger Entfernung kann ich das Konzept des Bandes würdigen. einmal hatten wir schwarze Löcher gezählt verdient jedoch mehr: einen unbefangenen Blick, ein unbefangenes Ohr vor allem, das auch unmittelbare Freude an Eiseles Sprache empfinden kann, egal, auf welcher Ebene hinter dem Text er sich letztlich verborgen hält.
Schwarze Löcher noch und nöcher,
das Weltall ist ein Wunderbecher.😉
DAS SCHWARZE LOCH
Dieses obskure Objekt
hält sich im Weltall versteckt.
Es wird von Sternen umkreist,
was uns sein Dasein beweist.
Ein kosmisches Schwergewicht,
zu keiner Diät bereit.
Sternenstaub das Hauptgericht,
verschmäht wird keine Mahlzeit.
Die Materie superdicht,
stark verbogen die Raumzeit.
Dem Monster entkommt kein Licht,
Gefängnis für die Ewigkeit.
Der Ereignishorizont ist Grenze,
dahinter ist einfach Sense.
KOSMOLOGIE MIT POESIE
Wie fing das Universum an?
Was ist am Multiversum dran?
Urknall oder wie auch immer,
keiner hat den rechten Schimmer.
Aus einer Singularität
das Duo Raum und Zeit entsteht.
Von Nukleonen , winzig klein,
zum größten Galaxienverein;
wie es ablief , weiß Gott allein.
Ein Fall für Albert Einstein.😉
Weltbekannt sein Resultat:
E = m c ²
Er postulierte die Raumzeit,
den gekrümmten Raum als Neuheit.
Revolutionäres war gedacht,
Wissenschaft vorangebracht .
Einsteins geniale Gedanken
brachten das Weltbild ins Wanken.
Seine Relativitätstheorie ,
speziell wie allgemein, ein Meilenstein.
Daneben trat er stets für Frieden ein.
Am Anfang war der Urknall,
um uns herum der Nachhall.
Das Weltall in Expansion
Milliarden Jahre nun schon.
Es sind dabei die Galaxien
einander rasant zu entflieh’n.
Da ist keine Wende in Sicht,
irgendwann geht aus das Licht.
Dunkle Materie ist rätselhaft,
dunkle Energie nicht minder.
Das Wissen ist noch lückenhaft,
man kommt nicht recht dahinter.
Es braucht wohl wieder ein Genie,
gar eine neue Theorie.
Des Universums Architektur –
Was ist der Sinn von allem nur?
Wir sehen Sterne blau und rot,
neugeboren, auch kurz vorm Tod;
and’re uns’rer Sonne ähnlich,
mittelalt und leuchtend gelblich.
Da gibt es Riesen und Zwerge
verschiedenster Leuchtstärke;
Solisten und Mehrfachsterne,
im Innen Fusion der Kerne.
Sterne entstehen und vergehen,
das ist im All Normalgeschehen.
Wir alle kommen von den Sternen,
wo die Elemente geboren.
Kein Atom in des Kosmos Fernen
geht im großen Zyklus verloren.
So werden in allen Galaxien
Lebenskeime ihre Kreise zieh’n.
Uns’re Galaxie ist eine von Milliarden,
ein Spiralsystem , keine Besonderheit.
Die Erde hatte die besten Karten,
hier fand das Leben Geborgenheit.
Aus toter Materie ging es hervor,
strebte hin zu höchster Komplexität.
Die Evolution wirkt als ein Motor,
der einfach niemals ins Stocken gerät.
Zahllose Arten entsteh’n und vergeh’n,
bevor der Mensch betritt die Szenerie.
Auch dessen Ende ist vorherzuseh’n,
das ist die kosmische Dramaturgie.
Wir sollten auf Erden nutzen die Zeit,
zum Siege verhelfen der Menschlichkeit.
Klima und Umwelt schützen, Raubbau beenden,
das Anthropozän zum Guten wenden.
Ökonomie und Ökologie im Verein,
der blaue Planet wird uns dankbar sein.
Rainer Kirmse , Altenburg
Herzliche Grüße aus Thüringen
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