Wenn man davon ausgeht, dass die Essenz der Persönlichkeit im Willen und Vermögen zur individuellen Entwicklung liegt, kann hier ein Antagonismus zwischen Persönlichkeit und Geschlecht entstehen, insofern der lebensbejahende Einsatz – gekrönt von Fortpflanzung und dem Schutz des Nachwuchses – sich nicht in die Handlungen fügt, durch die das entsprechende Individuum seine autotelische* Entwicklung voranbringen möchte. Es wird also auf Zufälle und die Verhältnisse im Einzelfall ankommen, ob die Persönlichkeit einen Willen zur Fortpflanzung beinhaltet – was bei einer „Persönlichkeit“ auch eine positive Lebensanschauung voraussetzt – oder nicht. Per definitionem muss eine Persönlichkeit nicht sozial-moralisch ausgerichtet sein und selbst wenn man eine solche Forderung akzeptieren würde, ist damit keineswegs sicher, dass darin auch der Fortpflanzungswille inbegriffen wäre. So könnte man sich vorstellen, dass das persönliche Individuum durch die Prüfung seiner Motive dieselben für grob egoistisch befindet und die Fortpflanzung als eine Handlung, die einen Menschen dazu zwingt, mit Leben und Tod für die privaten Bedürfnisse der Eltern einzustehen, und auf dieser Grundlage den Verzicht als Ausdruck einer höheren sozialen Ethik ansieht.
Peter Wessel Zapffe, Über das Tragische (1941)
* autotelisch: etwas als Zweck in sich behandelnd