Zapffen

200621|Zapffe: Der Fluch der Intelligenz #2

Während wir im vorigen Abschnitt den Überschuss in einem heterotelischen* Licht betrachtet haben, bloß als Mittel, sind wir jetzt auch auf seinen autotelischen* Wert aufmerksam geworden. Wie alle Funktion ist auch die Anwendung des Intellekts an und für sich lustbetont, ohne Rücksicht auf Nützlichkeit im Übrigen. Er hat deshalb eine Tendenz, sich von der Tyrannei des Zwecks zu befreien. Aber die Regel der Lustbetontheit gilt nur von der „Erkenntnis“ als Funktion. Der Inhalt, die Früchte, die Ladung, mit denen die Gedankenschiffchen zurückkehren, sind nicht immer fröhlicher Natur. Das reiche Gespinst aus Schönheit, Zusammenhang und Sinn („Maya“), das man im „naiven“ Stadium erlebt, wird leicht in Stücke zerrissen, sodass nur das grinsende, funktionelle Skelett zurückbleibt. Die intellektuelle Lebenshaltung gerät damit in ein Gegensatzverhältnis zur emotionalen und der normale Mensch hat ein Bedürfnis nach beiden. Die unmittelbare Erlebnisfreude des Individuums an den einfachen Dingen und seine „Lebensfreude“ im Allgemeinen können Schaden durch überbordende Analysen, Kritik und Reflexion nehmen – und das lange, bevor man pathologisches Gebiet betritt, wo die Kritikfunktion zu einem Zwangsphänomen geworden ist.

Peter Wessel Zapffe, Über das Tragische (1941), S. 94 f.

heterotelisch: etwas als Mittel zum Zweck behandelnd
autotelisch: etwas als Zweck in sich behandelnd

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